Denksport für Hutträger

Die Farbe ihrer Kopfbedeckung ist für Mathematiker ein kniffliges Problem / Von Wolfgang Blum

Mathematiker gelten gemeinhin als Modemuffel. Für so profane Dinge wie chicke Kleidung, heißt es, fehle den in höheren Sphären schwebenden Denkern schlicht der Sinn. Doch zumindest die richtige Hutfarbe ist mittlerweile zu einem heftig diskutierten Thema unter Mathematikern geworden. ,,Inzwischen erhalte ich dazu E-Mails aus dem ganzen Land", berichtet der Informatiker Todd Ebert von der University of California in Irvine. Ebert geht es allerdings nicht um das Modebewusstsein seiner Kollegen, sondern um die Antwort auf die bewegende Frage: Wie kann man die Farbe seines Hutes erraten? Das simpel anmutende Hutproblem besitzt für Mathematiker besonderen Charme: Zum einen weist es eine verblüffende Lösung auf; zum anderen findet es auch Anwendung in der so genannten Kodierungstheorie - und auf dieser wiederum beruht jede Darenübermittlung und -speicherung, sei es im Computer, CD-Spieler oder Handy.

Dabei klingt Eberts Denksportaufgabe zunächst ganz einfach: Drei Spieler bekommen einen Hut aufgesetzt, dessen Farbe durch Münzwurf bestimmt wird. "Zahl" ergibt einen roten Hut, "Wappen" einen blauen. Welche Farbe ihre eigene Kopfbedeckung hat, wissen die Spieler selbst allerdings nicht - sie sehen nur die Hüte ihrer Kollegen, und die Kommunikation untereinander ist verboten. Nun muss jeder Spieler entweder die Farbe seines Hutes raten oder passen. Tippt mindestens einer der drei die richtige Farbe und setzt keiner auf die falsche, gewinnt das Team einen Preis. Das Problem lautet: Auf welche Strategie sollten sich die Hutträger vor dem Auslosen der Farben einigen, um ihre Siegchance zu maximieren?

Nehmen wir an, einer der drei würde immer Rot tippen, und die beiden anderen würden passen. 1n diesem Fall beträgt die Gewinnwahrscheinlichkeit 50 Prozent. Können die drei ihre Chancen höher schrauben? Nicht nur Laien, auch die meisten Mathematiker halten das - zumindest auf den ersten Blick - für unmöglich. Denn jede Hutfarbe wird unabhängig von den anderen ausgelost. Jeder kann demnach die Farbe seines Hutes nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent erraten. Erstaunlicherweise sichert ein ausgeklügeltes Verhalten dem Team dennoch eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 75 Prozent. "Als Todd Ebert und ich das Hutproblem vor einigen Wochen auf einer Konferenz vorstellten", erzählt Heribert Volimer von der Universität Würzburg, "wollten manche die Lösung gar nicht glauben." Und Gerhard Keller, Professor für Wahrscheinlichkeitstheorie an der Universität Erlangen, gesteht: ,,Dieses Ergebnis hat mich überrascht. Ich hatte mit weniger gerechnet."

Die Erfolgsstrategie lautet wie folgt: Das Team vereinbart, dass nur derjenige einen Tipp abgibt, der bei seinen beiden Mitspielern die selbe Hutfarbe sieht. Ist diese Rot, rät er Blau und umgekehrt. Wer verschiedenfarbige Kopfbedeckungen vor Augen hat, passt. Bei dieser Strategie gewinnt das Team immer dann, wenn die Hutfarben im Verhältnis zwei zu eins verteilt sind -und das ist in 75 Prozent aller Fälle so. Denn bei drei Würfen mit einer Münze sind acht verschiedene Ergebnisse möglich: Eines lautet Zahl/Zahl/Zahl, eines Wappen/Wap pen/Wappen, und bei allen anderen taucht entweder einmal Zahl und zweimal Wappen auf oder umgekehrt. Ergo gewinnt das Team in sechs von acht Fällen, seine Gewinnchance entspricht somit 75 Prozent.

Nur wenn alle Hüte die gleiche Farbe haben, verliert die Mannschaft nach dieser Strategie. Der Abmachung zufolge geben dann alle drei einen Tipp ab - der notgedrungen verkehrt ist. Die Erfolgsphilosophie kann man daher auch umgekehrt formulieren: Wenn schon verlieren, dann richtig, das heißt so, dass möglichst alle danebenliegen. Denn betrachtet man die Gesamtheit aller Tipps, muss nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung die eine Hälfte richtig, die andere verkehrt sein. Die Gewinnchance lässt sich daher nur verbessern, indem das Team dafür sorgt, dass bei einem Sieg nur einer seine Hutfarbe treffen muss, bei einer Niederlage hingegen viele falsch raten.

So weit, so gut. Doch wie steht es mit der mathematischen Verallgemeinerung des Hutproblems auf mehr als drei Spieler? Auch die ist inzwischen gelungen, wenn auch vorerst nur für spezielle Fälle: wenn die Anzahl der Teilnehmer 7, 15 oder 31 beträgt (mathematisch gesprochen: wenn die Anzahl n sich als Zweierpotenz 2k minus 1 darstellen lässt, also n = 2k-1). Dann errechnet sich die Gewinnwahrscheinlichkeit als n geteilt durch n+1: Sieben Hutträger können sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 7/8 den Preis holen, 15 mit einer von 15/16 und 31 Hutträger mit einer Wahrscheinlichkeit von 31/32.

Allerdings ist die Berechnung solcher Fälle weitaus komplizierter als im einfachen Beispiel mit drei Teilnehmern. Denn Ebert und seine Mitarbeiter greifen dabei auf so genannte Hamming-Codes zurück, die zum Beispiel in Computernetzwerken und Mobilfunk verwendet werden. Die nach dem amerikanischen Mathematiker Richard Hamming (1915-1998) benannten Codes bringen zwei sich widersprechende Eigenschaften unter einen - pardon - Hut: Einerseits erlauben sie, auf wenig Speicherplatz viele Daten zu fassen, andererseits sind sie fehlerkorrigierend - wird ein Bit, also eine 0 oder eine 1, falsch übertragen, kann der Empfänger das nicht nur bemerken, sondern sogar wieder rückgängig machen.

Mithilfe von Hamming-Codes konnte Ebert für die oben genannten Spezialfälle optimale Gewinnstrategien austüfteln. Für an dere Spieleranzahlen ist das günstigste Rateverhalten noch nicht vollständig aufgedeckt. ,,Aber wir arbeiten dran", berichtet Gadiel Seroussi vom Forschungslabor von Hewlett Packard im kalifornischen Palo Alto.

Direkte praktische Anwenduigen hat das Hutproblem, das auf Mathematikertagungen und in Internet-Chats debattiert wird, zwar noch nicht. Aber Seroussi berichtet, dass die Hutforschung schon jetzt die Kodierungstheorie vorangebracht hat. Möglicherweise führt die nette mathematische Spielerei auf diese Weise eines Tages auch zu einer schnelleren und verlässlicheren Übertragung von Daten.

In jedem Fall aber hält sie Lehren für das Leben bereit. Eine lautet: Es ist in Ordnung, falsch zu liegen, solange man sich darauf verlassen kann, damit nicht der Einzige zu sein. Eine andere, noch wichtigere sei, dass Teamwork zum Ziel führe, ergänzt Elwyn Berlekamp von der Universität in Berkeley: "Gibt es Anzeichen, dass jemand aus deiner Mannschaft mehr weiß als du, solltest du den Mund halten."

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Die Zeit, 2001-05-03